
🌿 Iboga: Die Wurzel, die heilt – Eine Reise zwischen Tradition, Therapie und Transzendenz
Seit Jahrhunderten nutzen die Bwiti, ein spiritueller Stamm in Gabun, die Wurzel des Iboga-Strauchs für rituelle Zwecke. Was einst Teil eines Initiationsritus war, entwickelt sich heute zu einer Hoffnungsträgerin in der globalen Suchttherapie. Die Substanz Ibogain, gewonnen aus dieser Pflanze, sorgt weltweit für Diskussionen – zwischen Heilung, Halluzination und der Frage nach ihrer Legalisierung.
Zwischen Ekstase und Erkenntnis: Eine Erfahrung in Mexiko
Unter der sengenden Sonne Mexikos, im Schatten eines Mangobaums, beginnt eine ungewöhnliche Reise. Vier Menschen liegen erschöpft auf dem Boden, während um sie herum Musik erklingt – archaisch, durchdrungen von Schmerz und Geschichte. Ein tätowierter Franzose spielt auf einer Maultrommel, das Fell einer Wildkatze baumelt zwischen seinen Beinen. Der Duft von Weihrauch liegt in der Luft, und ein Mann ruft immer wieder: „Hmmm!“
Die Wirkung von Ibogain setzt ein. Die Gedanken werden zu Bildern, die Bilder zu Fragen: Was ist Sprache? Woher stammt der Mensch? Was bedeutet Musik? Und was ist der Sinn des Lebens? Die Droge entfaltet ihre Wirkung nicht wie eine Partysubstanz, sondern wie ein Tor zu tiefer Selbsterkenntnis.
Die Herkunft: Heiliges Holz aus Gabun
Ibogain ist ein einzigartiges Molekül, das sich deutlich von anderen psychoaktiven Substanzen unterscheidet. Es stammt aus der Wurzel des Iboga-Strauchs, der in den Regenwäldern Westafrikas wächst. Die Bwiti nutzen die Pflanze seit jeher, um junge Männer in spirituellen Zeremonien zu Jägern und Kriegern zu machen. Die Pflanze gilt als heilig – ein Medium zwischen Mensch und Geistwelt.
Bereits 1819 wurde die Substanz von britischen Forschern entdeckt. In Frankreich war sie bis 1967 als mildes Tonikum erhältlich. In den 1960er-Jahren kamen Hippies nach Gabun, viele heroinabhängig. Nach einer Iboga-Zeremonie berichteten sie, dass ihr Verlangen verschwunden sei – ohne Entzugserscheinungen. Studien bestätigen: Ibogain kann nicht nur das Bewusstsein erweitern, sondern auch körperliche Abhängigkeiten durchbrechen.
Therapiezentrum zwischen Spiritualität und Wissenschaft
In Tepoztlán, Mexiko, befindet sich die IbogaQuest-Klinik – eine Mischung aus Spa, spiritueller Zuflucht und psychotherapeutischer Praxis. Geleitet wird sie von Barry Rossinoff, der Ibogain in Kapselform verabreicht. An diesem Wochenende ist auch Marie-Claire Eyang Mathine zu Gast, eine Heilerin vom Bwiti-Stamm. Sie bringt getrocknetes Iboga mit – ihr „heiliges Holz“ – und spricht auf der fünften internationalen Ibogain-Konferenz.
Drei Tage lang diskutieren Experten aus Pharmakologie, Ethnologie und Suchtmedizin unter Palmen über die Zukunft der Substanz. Jonathan Dickinson, Präsident der Global Ibogaine Therapy Alliance (GITA), hat die Konferenz organisiert. Er selbst hat den Initiationsritus der Bwiti durchlebt und beschreibt seine Erfahrung als tiefgreifend: „Ich sah Szenen meines Lebens und fühlte mich, als läge ich unter der Erde. Noch Monate später spürte ich eine gesteigerte geistige und körperliche Energie.“
Risiken und Herausforderungen
Doch Ibogain ist keine Wunderdroge. Höhere Dosen können den Herzrhythmus stören – mindestens 20 Todesfälle sind dokumentiert. Die Pflanze selbst ist durch die steigende Nachfrage bedroht. Der Preis für die Wurzel hat sich in den letzten 15 Jahren verzehnfacht, was sie für die indigene Bevölkerung Gabuns nahezu unerschwinglich macht. Das Land reagiert mit Aufforstungsprojekten in Nationalparks, doch es dauert sieben Jahre, bis eine Pflanze geerntet werden kann.
Yann Guignon, der Mann mit der Maultrommel, kämpft für den Erhalt der Pflanze. Nachdem Iboga in Frankreich verboten wurde, arbeitet er nun in Gabun, berät den Präsidenten und betreibt eine eigene Farm zur Wiederaufforstung.
Forschung und Hoffnung
Wissenschaftler weltweit suchen nach Alternativen zur natürlichen Gewinnung. Der deutsche Biologe Felix Krengel konnte Ibogain im mexikanischen Regenwald nachweisen. Besonders spannend ist der Einsatz in Mexiko, das sich vom Transitland zum Konsumland für Drogen entwickelt. Die Forschung ist basisnah und idealistisch – viele Ergebnisse werden frei im Internet veröffentlicht.
Die Stimmung auf der Konferenz ist optimistisch. Spanische Forscher planen Langzeitstudien, in Afghanistan entsteht die erste Iboga-Klinik, und in den USA empfiehlt ein Drogenbeauftragter des Bundesstaats Delaware die Behandlung mit Iboga in Mexiko.
Mehr als Medizin: Rückkehr zu den Wurzeln
Jonathan Dickinson betont, dass Ibogain nicht nur als Medikament gegen Sucht verstanden werden sollte. Die Ursachen von Abhängigkeit liegen oft in zerbrochenen sozialen Strukturen. Iboga, so glaubt er, kann helfen, den Kontakt zu den Wurzeln der menschlichen Zivilisation wiederherzustellen – zu Gemeinschaft, Spiritualität und innerer Balance.